Bild Gasumlage
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Kammerpräsident Wolfgang Jacob warnt im Interview vor fatalen AuswirkungenBelastungsgrenze im Ostthüringer Handwerk ist erreicht

(24.08.2022) Das Ostthüringer Handwerk befindet sich seit nunmehr zweieinhalb Jahren in einem Ausnahmezustand. Zuerst kamen die massiven Einschränkungen durch die Coronakrise. Anschließend sorgt der Krieg Russlands gegen die Ukraine dafür, dass wir auch in Deutschland massive wirtschaftliche Auswirkungen zu spüren bekommen. Die Handwerkskammer für Ostthüringen hat sich in der gesamten Zeit für ihre Mitgliedsbetriebe eingesetzt. Doch mittlerweile ist eine Situation entstanden, die nicht nur unter Handwerkerinnen und Handwerkern für Zukunftsängste und völliges Unverständnis gegenüber der Politik sorgt.

Im folgenden Interview findet Wolfgang Jacob, Präsident der Handwerkskammer für Ostthüringen, deutliche Worte, zeigt aber gleichzeitig auf, was die Handwerkskammer für ihre Mitgliedsbetriebe bisher unternommen hat.

Herr Jacob, eine Krise jagt die nächste. Ist die Belastungsgrenze mittlerweile erreicht?

Ein ganz klares Ja. Der Geduldsfaden unserer Handwerkerinnen und Handwerker ist kurz vor dem Zerreißen. Mit viel Einsatz aber auch Entbehrungen haben die Betriebe die Coronakrise überstanden. Doch mit der jetzigen Inflation, den gestiegenen Beschaffungskosten für Material und vor allem den explodierenden Energiepreisen ist die Existenzangst und der Unmut auf einem neuen Niveau.

Wie äußert sich das?

Mich erreichen gerade in den letzten Wochen zahlreiche Anrufe und E-Mails, in denen sich unsere Handwerker verständlicherweise Luft machen. Sie sehen oftmals ihr Lebenswerk in Gefahr. Viele wissen nicht mehr, wie sie ihre Betriebe am Laufen halten sollen oder spielen sogar mit dem Gedanken, ihre Selbständigkeit an den Nagel zu hängen. Verantwortlich gemacht werden hier oftmals die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland.

Die Sanktionen sind doch aber eine Reaktion auf den Angriffskrieg.

Das stimmt und ich verurteile ganz klar diesen Angriff Russlands auf die Ukraine. Es ist ein schweres völkerrechtliches Verbrechen, das sanktioniert werden muss. Dass dies auch mit Einschnitten für unsere Betriebe verbunden ist, kann ich durchaus nachvollziehen. Was wir aber derzeit erleben, geht weit über das vertretbare Maß hinaus.

Welche Auswirkungen sehen Sie ganz konkret?

Nehmen wir nur einmal die rasant gestiegenen Preise für Strom und Gas. Eine Verdreifachung der Beschaffungskosten für Gas sind für keinen unserer Betriebe mal eben so zu stemmen. Ein Beispiel: Wenn ein Bäcker das Dreifache an Gaskosten für seine Backöfen zahlen muss, kann er dies nur auf die Kunden umlegen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Damit steigen die Warenpreise deutlich. Viele Kunden wollen oder können diese Preise aber irgendwann nicht mehr bezahlen, was wiederum massive Umsatzverluste für den Betrieb bedeutet. Da hilft es auch nichts, wenn die Bundesregierung jetzt Entlastungen durch einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Gas ins Spiel bringt. Die Mehrwertsteuer ist in den Unternehmen ein Durchlaufposten. Zumal an einer Verringerung der Mehrwertsteuer nur wieder andere verdienen.

Wer sind denn aus Ihrer Sicht die Gewinner?

Wir haben es doch bei den Kraftstoffpreisen erlebt. Diese sind nicht so deutlich gesunken wie erwartet. Die Mineralölkonzerne haben die Senkungen nicht 1 zu 1 weitergegeben und noch mehr Gewinne erwirtschaftet. Das gleiche wird bei einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Gas passieren. Warum wird überhaupt eine Gasumlage erhoben? Als Begründung ist ein drohender Zusammenbruch des Energiemarktes angeführt. Doch ein Großteil der Energiekonzerne haben in den letzten Monaten Milliardengewinne eingefahren, versuchen nun aber über Tochterunternehmen die Gasumlage abzuschöpfen. Am Ende ist der Verbraucher – egal ob Unternehmen oder Privatperson derjenige, der zur Kasse gebeten wird.



Kammerpräsident Wolfgang Jacob
HWK für Ostthüringen

Wolfgang Jacob, Präsident der Handwerkskammer für Ostthüringen



Was wäre aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Alternative?

Mein Vorschlag, der schon oftmals angeführt, aber bisher unter anderem von Bundeswirtschaftsminister Habeck abgelehnt wurde, wäre eine Deckelung des Gaspreises. Mir ist durchaus bewusst, dass es Sparmaßnamen insbesondere bei Gas geben muss. Deshalb plädiere ich für eine Deckelung der Gaskosten bis zu 70 Prozent des Verbrauches aus dem Jahr 2021. Damit werden sowohl Unternehmen als auch Privathaushalte entlastet und gleichzeitig Anreize zum Sparen gesetzt. Die Mehrkosten für die Deckelung sollte allein der Staat tragen, der die Krise durch seine verfehlte Energiepolitik der letzten Jahrzehnte mit ausgelöst hat. Mit dieser Deckelung hätten alle Verbraucher Planungssicherheit und können dennoch oder gerade deshalb Ideen für Energiesparmaßnahmen entwickeln.

Sind Sie der Meinung, dass Ihr Vorschlag Gehör finden wird und wie wollen Sie diese Ideen der Politik ermitteln?

Ich hoffe es zumindest, dass ein Großteil unserer Politiker endlich aufwacht und merkt, wie kritisch die Situation ist. Das haben wir als Handwerkskammer beispielsweise in den vergangenen Monaten immer wieder gegenüber politischen Vertretern deutlich gemacht. So gab es beispielsweise im März und Juni dieses Jahres treffen mit den Bundestagsabgeordneten Todtenhausen und Hanke sowie auf Landesebene mit den Landtagsabgeordneten Vogt, Mohring und Kemmerich. Und ich versichere: Wir werden hier weiter vehement am Ball bleiben.

Wie kann die Handwerkskammer seine Mitgliedsbetriebe in der aktuellen Situation praktisch weiter unterstützen?

Die Handwerkskammer hat beispielsweise gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Thüringer Handwerkskammern Rahmenvereinbarungen mit der TEAG Thüringer Energie AG sowie der Total Deutschland GmbH abgeschlossen, um hier Rabatte sowohl beim Bezug von Strom und Gas als auch bei Kraftstoffen für die Mitgliedsbetriebe zu erzielen. Außerdem stehen die Experten des Umweltzentrums des Handwerks in Rudolstadt allen Mitgliedsbetrieben bei Fragen rund um Möglichkeiten der Energieeinsparung und Energieeffizienz inklusive Fördermöglichkeiten jederzeit zur Verfügung. Ich weiß, dass dies die großen Probleme nicht allein lösen kann. Aber auch kleine Bausteine helfen schon weiter.

Vielerorts wird in den Betrieben versucht, eben solche Energieeffizienzmaßnahmen umsetzen. Aber muss hier nicht die Politik noch mehr tun?

Na klar muss sie das. Was derzeit passiert ist ein Bekämpfen der Symptome und nicht der Ursachen. Und selbst dabei wird viel zu zögerlich gehandelt. Entscheidungsfreudigkeit scheint nicht das Steckenpferd vieler Politiker zu sein. Ich plädiere beispielsweise für einen momentanen Weiterbetrieb der noch bestehenden Atomkraftwerke, solange wir noch in dieser tiefen Energiekrise stecken. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass bei aller Zustimmung zu einer grundlegenden Energiewende die jetzt fabrizierten Schnellschüsse völlig am Ziel vorbeigehen. Was nützen uns jede Menge Windräder, Elektrofahrzeuge und Solaranlagen, wenn die entsprechenden Speicherkapazitäten oder die Ladeinfrastruktur fehlen. Wie so oft, wird wieder der zweite Schritt vor dem ersten gemacht.

Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die kommenden Monate?

Ganz ehrlich – ich sehe eine schwere wirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Krise auf uns zukommen, wenn die Politik nicht sofort gegensteuert. Die Belastungen sind ja nur die eine Seite. Schon jetzt wird wieder mit coronabedingten Einschränkungen für Herbst und Winter gedroht. Unsere Handwerkerinnen und Handwerker sind mittlerweile in einer Phase, wo dies nicht mehr so einfach hingenommen wird. Ich verstehe die Existenzängste vieler Unternehmer sowohl im betrieblichen als auch im privaten Bereich. Ganz zu schweigen von den bleibenden Schäden, die für nachfolgende Generationen entstehen.

Ein letzter Satz Ihrerseits an die politischen Entscheider.

Treffen Sie endlich die richtigen Entscheidungen, die unser Land nicht auf viele Jahre in eine Rezession stürzen. Es steht viel auf dem Spiel: die Existenz des handwerklichen Mittelstandes, der wirtschaftlichen Stabilität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts!