Wolfgang Jacob zu Corona, Materialmangel, Energie- und Spritpreisen sowie dem Ukraine-KriegKammerpräsident warnt vor Kollaps im Handwerk
Wolfgang Jacob ist gut 15 Monaten Präsident der Handwerkskammer für Ostthüringen. Seine Wahl fand am 8. Dezember 2020 inmitten der Corona-Pandemie statt. Seitdem gilt sein Hauptaugenmerk den wohl größten Herausforderungen, mit denen das Handwerk seit der Wiedervereinigung zu kämpfen hat: die immer noch anhaltende Corona-Pandemie, Materialmangel, explodierende Energie- und Kraftstoffpreise und nicht zuletzt die Auswirkungen des Ukraine-Krieges. In einem Jahresinterview warnt er vor dem drohenden Kollaps im Handwerk.
Herr Jacob, hinter Ihnen liegen gut 15 Monate als Präsident der Handwerkskammer für Ostthüringen. Hatten Sie schon einmal Zeit, die vergangenen Monate zu reflektieren?
Ganz ehrlich gesagt: nein. Seit meinem Amtsantritt beschäftigen das Ostthüringer Handwerk und damit auch mich immer wieder neue Probleme und Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Da bleibt kaum Zeit, auch einmal den Blick zurückzuwerfen.
Sie haben das Amt mitten in der Corona-Pandemie angetreten, unter der viele Handwerksunternehmen bis heute noch zu leiden haben. Was waren in dieser Zeit die wichtigsten Aufgaben für Sie?
Als ich mein Amt im Dezember 2020 antrat, stand wieder einmal ein Lockdown vor der Tür. Unsere Handwerksunternehmen haben die Herausforderungen nach besten Möglichkeiten bewältigt. Deshalb hier auch einmal ein großes Dankeschön an alle Handwerkerinnen und Handwerker, die sich trotz Lockdowns, Einschränkungen und teils auch politischem Versagen nicht haben unterkriegen lassen.
Was kritisieren Sie im Nachhinein besonders an den politischen Entscheidungen?
Zu Beginn der Pandemie war die Situation für alle vollkommen neu. Man hatte Verständnis für so manche vielleicht falsch getroffene Entscheidung. Nach nunmehr zwei Jahren Pandemie muss man aber sagen, dass die Politik aus Fehlern bis heute nicht gelernt hat.
Welche Fehler wären das beispielsweise?
Die Unternehmen wurden mit ihren Problemen oftmals allein gelassen. Wenn neue Verordnungen am Abend getroffen und tags darauf in Kraft treten, blieb den Unternehmen keine Zeit, diese entsprechend umzusetzen. Immer wieder wurden bestimmte Branchen als Pandemie-treiber hingestellt, beispielsweise Friseure, Kosmetiker oder auch das Nahrungsmittelhandwerk mit seinem Cafébetrieb. Hier hat es sich die Politik auch auf Landesebene mit einen Entscheidungen zu einfach gemacht.
Was konnte die Handwerkskammer dagegen tun?
Wir haben schnellstmöglich Hilfe angeboten. So waren wir in Ostthüringen die erste Kammer deutschlandweit, die eine Corona-Hotline eingerichtet hat, um die Mitgliedsbetriebe bei ihren Fragen zu unterstützen. Diese Hotline als auch unsere Corona-Sonderseite im Internet wird bis heute rege genutzt. Das ist verständlich bei dem Regel-Wirrwarr. So hatten und haben unsere Handwerkerinnen und Handwerker die Möglichkeit, hier alle für sie relevanten Informationen komprimiert zu erhalten, damit sie sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Aber auch gegenüber der Landespolitik konnten so manche geplanten Einschränkungen verhindert werden – wenn auch nicht alle.
Mittlerweile sind deutliche Lockerungen bezüglich der Corona-Pandemie beschlossen. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Für unsere Handwerksbetriebe wird die Situation wieder etwas leichter – zumindest was die Einschränkungen durch Corona betrifft. Dennoch hat die Politik massiv an Glaubwürdigkeit in den letzten Monaten eingebüßt. Dieses Vertrauen wieder aufzubauen wird mehr als schwierig, zumal weiterhin der Mittelstand und damit das Handwerk nicht immer als essentiell für das Wiederanlaufen des Konjunkturmotors seitens der politischen Entscheidungsträger wahrgenommen wird. Vielmehr fühlen sich die Unternehmerinnen und Unternehmer bei ihren Problemen, Sorgen und Nöten zu oft allein gelassen.
Welche Probleme sind das aktuell?
Nur ein paar Schlagworte: Materialmangel, gestiegene Rohstoffpreise, explodierende Energie- und Kraft-stoffkosten, die Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Dies alles trifft das Handwerk mindestens genau so stark wie die Industrie und den Endverbraucher.
Das Thema der Materialpreise und Lieferengpässe bei Rohstoffen und Bauteilen ist doch aber nicht neu?
Nein. Wir haben bereits im Frühjahr letzten Jahres die Politik auf diese Probleme hingewiesen. Egal ob Holz, Baustahl, Aluminium, Kupfer, Eisen, Farbe oder Dämmstoffe – die Preise waren schon im letzten Jahr, auch bedingt durch die Coronakrise, auf Rekordniveau. Nach einem leichten Aufschwung hat sich die Situation durch den Krieg in der Ukraine jetzt wieder deutlich verschärft. Nehmen wir nur das Bauhandwerk. Die Auftragsbücher sind voll, aber es fehlt an vielen der benötigten Materialien oder die Preise sind ins Unermessliche gestiegen. Das gleiche gilt durch den Ukraine-Krieg nun auch vermehrt für das Lebensmittelhandwerk, das Kfz-Handwerk, und viele andere. Höhere Einkaufspreise lassen sich aber auch nicht so einfach an die Kunden weitergeben. Es bestehen oftmals Verträge zu entsprechenden Preisen, die jetzt nicht mehr zu halten sind. Es droht die Gefahr, dass die Unternehmen jetzt draufzahlen.
Seitens der Politik ist aber oftmals nur von den Problemen der Industrie die Rede.
Genau das ist der große Fehler. Der handwerkliche Mittelstand wird bei den meisten Planungen und Gegenmaßnahmen oftmals vergessen oder nur am Rande mit einbezogen. Im Gegenteil: Wenn gespart werden muss, wird zuerst bei den kleinen und mittelständischen Betrieben der Geldhahn zugedreht, wie jüngst in Thüringen zu erleben.
Welche Maßnahme meinen Sie da konkret?
Stichwort Thüringer Digitalbonus: Diesen konnten bisher kleine und mittelständische Unternehmen und so auch Handwerksbetriebe als Unterstützung bei der Anschaffung von Technik und Software beantragen, um sich gut auf den digitalen Wandel vorzubereiten. Hier hat Wirtschaftsminister Tiefensee einen Förderstopp verhängt, um 2,5 Millionen Euro im Landeshaushalt einzusparen. Gleichzeitig beschließt der Thüringer Landtag eine Corona-Prämie für Beamte in einer Gesamthöhe von mehr als 35 Millionen Euro. Ich möchte keine Neiddebatte eröffnen. Feuerwehr, Polizei, Lehrer und viele andere haben diesen Bonus sicherlich auch verdient. Es muss generell an der Zahl der Landesbediensteten gearbeitet werden. Mit knapp 27 Landesbediensteten auf 1.000 Einwohner liegt Thüringen fast an der Spitze im deutschlandweiten Vergleich – nur das Saarland hat mehr. Da läuft doch gehörig etwas schief, wenn wieder einmal bei der Förderung von Unternehmen gespart wird, während der Landesapparat wächst und wächst.
Am meisten beschäftigt die Bevölkerung und damit auch jeden Handwerker und jede Handwerkerin die explodierenden Energie- und Kraftstoffpreise.
Das ist wohl eines der größten Probleme, die es momentan zu bewältigen gilt. Ich habe in einem öffentlichen Statement bereits im Oktober vor den Preisanstiegen bei Strom, Gas und Kraftstoffen gewarnt und ein Gegensteuern gefordert. Die Energiekosten sind schon Im Herbst letzten Jahren um teilweise 300 Prozent gestiegen. Meine Forderung damals: Aussetzen der Stromsteuer, ein Ende der Spekulationen an der Energiebörse EEX in Leipzig und die Abschaffung der Doppelbesteuerung.
Mittlerweile hat sich die Situation jedoch durch den Krieg in der Ukraine dramatisch verschärft.
Was wir jetzt erleben, ist sowohl für jeden Privatverbraucher als auch für die Unternehmen dramatisch. Trotz Corona ist dies wohl die momentan schwerste Krise, die Deutschland seit vielen Jahrzehnten erlebt. Man muss es ganz klar sagen: Es droht ein wirtschaftlicher Kollaps.
Bleiben wir vorerst bei den Strom- und Gaspreisen, deren Anstieg Sie ja schon im vergangenen Jahr kritisiert haben. Wie sieht die Situation derzeit im Handwerk aus?
Viele Branchen sind auf jede Menge Strom und Wärme angewiesen. Auch hier sind die durch Corona besonders geplagten Friseure wieder dabei. Sie brauchen viel warmes Wasser und haben einen hohen Strombedarf. Gleiches gilt für unsere Bäcker und Fleischer, die Strom beispielweise für ihre Backöfen bzw. Wurstverarbeitenden Maschinen benötigen. Aber auch das Metall-handwerk und viele andere haben massive Kostensteigerungen. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Die höheren Ausgaben können sie aber nicht ohne weiteres an die Kunden weitergeben, da in den vergangenen Monaten bereits aufgrund gestiegener Rohstoffpreise oder coronabedingter Maßnahmen die Preise erhöht werden mussten.
Die Regierungskoalition hat sich doch jetzt aber auf ein Entlastungpaket verständigt. Was halten Sie davon?
Es ist zumindest ein Anfang. So richtig die geplante Entlastung für Bürgerinnen und Bürger, wie Energiepauschale und Familienzuschuss sowie auch die vorgesehenen Schritte zu mehr Energieversorgungsunabhängigkeit sind, so wenig dürfen gerade kleine und mittlere Betriebe angesichts der Energiepreisexplosion im Regen stehen gelassen werden. Unsere Betriebe können die enormen Preissprünge nicht allein auffangen und schon gar nicht vollständig an die Kundinnen und Kunden weitergegeben. Man muss es ganz klar sagen: der Mittelstand wird wieder einmal ausgeklammert.
Was schlagen Sie vor?
Es muss eine Entlastung für alle, also auch die Unternehmen geben! Bei Gas und Strom müssen die Steuern und Abgaben, die ca.33 bzw. ca. 50 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, um jeweils die Hälfte gesenkt werden. Oder es wird ein verbrauchsabhängiger Zuschuss für Unternehmen eingeführt. Von einer pauschalisierten Absenkung der Mehrwertsteuer halte ich aber nicht viel. Diese ist in der Mehrzahl der Unternehmen ein Durchlaufposten.
Auf Dauer wird dies aber sicher nicht finanzierbar sein?
Das ist richtig. Deshalb muss bei Strom schnell in Speicherkapazitäten von alternativem Strom investiert werden. Eine Förderung solcher Anlagen von 75 Prozent der Gesamtkosten ist eine Investition in die Zukunft. Was wir bisher erleben, setzt doch keine Anreize. Ein Beispiel: Ein Verbraucher, der einen über Solar erzeugten Strom ins Energienetz einspeist, erhält ca. 6 Cent pro KWh. Aufgrund unzureichender Speicherkapazitäten (beispielsweise in der Nacht) muss er dann diesen Strom für derzeit ca. 30 Cent pro KWh zurückkaufen. Da läuft doch was verkehrt.
Gleichzeitig müssen wir unabhängiger von Gas werden. Auch hier muss die Förderung entsprechender alternativer Anlagen zur Wärmeerzeugung deutlich ausgebaut werden. Mit den bisherigen Fördermöglichkeiten sind diese Investitionen sowohl für Privatkunden als auch Unternehmen kaum zu stemmen.
Was wir seit Wochen jeden Tag vor Augen haben, sind ebenso die Spritpreise, die gefühlt nur noch eine Richtung kennen – nach oben.
Das macht mir besondere Sorgen. Fast jeder ist davon betroffen: Die Handwerksbetriebe mit ihrem Fuhrpark auf dem Weg zum Kunden oder auf die Baustellen und die Mitarbeiter auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle. Was da gerade passiert, ist rational nicht mehr zu erklären.
Auch hier hat doch die Politik Entlastungen angekündigt?
Es ist doch so: Wenn der Preis für Rohöl an den Weltmärkten steigt, merken wir das alle sofort an den Zapfzsäulen – der Spritpreis geht fast tagesaktuell nach oben. Umgekehrt gibt es fast gar keine Bewegung. Ich sage es ganz klar: Da machen sich einige Großkonzerne die Taschen auf Kosten des Verbrauchers voll. Hier muss endlich das Kartellamt einmal aufwachen und seinen Kontrollpflichten nachkommen.
Nicht zu vergessen ist, dass der Staat mit jedem Preissprung an der Zapfsäule kräftig mitverdient.
Deshalb mein Vorschlag, den ich bereits im Oktober letzten Jahres gemacht und vor wenigen Wochen noch einmal konkretisiert habe: Ein befristetes komplettes Aussetzen bzw. massives Absenken der Energiesteuer auf Benzin und Diesel, jedoch mindestens eine Absenkung um 40 Cent pro Liter. Das jetzt seitens der Regierungskoalition vorgeschlagene Paket mit einer Absenkung der Energiesteuer und damit einer Reduzierung des Spritpreises bei Benzin um 30 Cent je Liter und bei Diesel um 14 Cent je Liter, geht dennoch an der Realität für unsere Handwerksunternehmen vorbei. Deren Fuhrpark besteht zu einem Großteil aus Transpotern und Lkw, die mit Diesel betankt werden müssen. Hier setzt man wieder auf ganz kleine Schritte statt auf einen wirklich großen Sprung. Zudem muss der Staat darauf achten, dass die Gewinner nicht am Ende die Mineralölkonzerne sind, indem sie diese Absenkung gleich wieder teilweise auf den Kraftstoffpreis draufschlagen.
Wahrlich keine leichten Monate für Sie also als Präsident der Handwerkskammer. Was erhoffen Sie sich für die kommenden Monate?
Das ist wie der Blick in die Glaskugel. Uns alle werden die kommenden Monate sicher weiter fordern. Wichtig ist, dass das Handwerk stets zusammenhält. Nur gemeinsam können wir etwas bewegen. Das gilt bei den aktuellen Problemen und Krisen genauso, wie bei den täglichen Herausforderungen, die nicht weniger geworden sind – beispielsweise die Gewinnung von Nachwuchs für unsere Handwerksbetriebe, die Unternehmensnachfolge und der dringend notwendige Abbau von bürokratischen Hemmnissen.
Dabei ist die Handwerkskammer auf die Unterstützung aller angewiesen. Wer sich also einbringen möchte, Vorschläge oder Hinweise hat, aber auch Kritik anbringen möchte, kann sich gern an mich wenden unter E-Mail praesident@hwk-gera.de.