Südkoreanerin reist um die halbe Welt zum Praktikum in Ostthüringen
Mehr als 8.500 Kilometer trennt Jihyo Lee von ihrer Heimat Seoul in Südkorea, in der mehr als zehn Millionen Menschen leben. Bereits seit eineinhalb Jahren ist Jihyo in Deutschland und sieht seitdem ihre Familie nur per Videoanruf.
Einen Bruder hat sie noch, welcher aber in Südkorea lebt. Für die Zeit Ihres Aufenthalts benötigt die junge Südkoreanerin ein Visum speziell für die berufliche Orientierung im Ausland.
Zunächst in Berlin, lebt sie nun seit März diesen Jahres bei Familie Schmidt in Grochwitz. Diese führen seit mehr als 100 Jahren den Familienbetrieb, die Buchbinderei Willy Rudolph. „Bevor sie anfangen konnte, mussten etliche Behördenangelegenheiten genommen werden. Andreas Jörk, Mobilitätsberater der Handwerkskammer für Ostthüringen, hat uns hierbei sehr geholfen“, so Volker Schmidt. Er führt stolz mit seiner Frau in dritter Generation den Betrieb der Buchbinderei.
Doch wieso fliegt man um die halbe Welt zum Praktikum? „Ich mag Goethe und Rilke und habe deren Werke immer auf Südkoreanisch gelesen. Alte Bücher und deren Erhaltung faszinieren mich,“ so die 24-Jährige. Deutsche Ausbildungen im Handwerk genießen hohe Anerkennungen in Südkorea. Eine duale Ausbildung in Deutschland unterscheidet sich deutlich von der in Südkorea, wo man eher auf „Lernen-durch-Handeln“ setzt. Gudrun Schmidt, welche die junge Frau als ihre „Tochter auf Zeit“ bezeichnet, meint: „Nicht wir haben Jihyo gefunden, sie hat uns gefunden.“ Etliche Bewerbungen, um die 80 Stück, sendete sie an Buchbindereien in ganz Deutschland. Doch nur wenige antworteten ihr. Familie Schmidt war es, die Jihyo sofort zusagte. „Wir haben bereits einige unserer Auszubildenden auf ein Praktikum ins Ausland entsandt. Von daher war es für uns kein Problem, Jihyo bei uns aufzunehmen und ihr das Handwerk der Buchbinderei näher zu bringen.“
Zwei unterschiedliche Kulturen
„Wir haben extra ein Zimmer in unserem Haus für sie eingerichtet. So leben wir nun alle unter einem Dach. Das ist manchmal gar nicht so einfach.“ Dennoch kümmert sich Gudrun Schmidt wie eine Mutter um die Praktikantin. Jihyo „beherrscht ein paar Wörter auf Deutsch. Die Verständigung mit Händen und Füßen klappt sowieso“. Die Schmidts geben zu, dass man in manchen Momenten die zwei unterschiedlichen Kulturen besonders spürt. Zum Beispiel beim Essen. Die Asiatin mag keinen Rosenkohl und Porree. Dafür kocht sie hin und wieder ihrer Gastfamilie typisch Südkoreanisches Essen. „Das kann manchmal ziemlich scharf sein. Gesünder ist es auf alle Fälle als unser deutsches Essen“, meint ihre Gastfamilie. „Bolognese und Hühnchen sind mein Lieblingsessen“ sagt Jihyo.
Stolz präsentiert Gudrun Schmidt ein kleines Buch, welches einem Fotoalbum ähnelt. Jihyo hat dieses selbst mit Ihr hergestellt. Das Buch besteht aus einem mintgrünen Einband, der Buchrücken ist weiß. Die Materialien wurden sorgfältig ausgewählt und aufeinander abgestimmt. „Dies ist unser gemeinsames Projekt für die Zeit, in der Jihyo bei uns ist. Wir möchten als Andenken ein Deutsch-Südkoreanisches Kochbuch herstellen.“
Schnelle Auffassungsgabe
„Das Handwerk des Buchbinders ist in Südkorea nicht sonderlich verbreitet“, so Jihyo Lee. Auf die Frage, wieso sie gerade in Deutschland ihr Praktikum als Buchbinderin absolviert, antwortete sie: „Der Buchdruck wurde in Deutschland erfunden. Das finde ich sehr spannend, weshalb ich dieses seltene Handwerk des Buchbinders erlernen möchte.“
Volker Schmidt staunt über die Fingerfertigkeit, die Auffassungsgabe sowie das selbstständige Arbeiten in der kurzen Zeit. Die junge Frau hat bereits die Hand- sowie Drahtheftung, das Lumbecken (Rückenklebung) als auch das Reparieren von Büchern erlernt.
Die Schmidts zeigen auf eine mehrteilige schwarze Enzyklopädie. Man sieht, dass die Bücher schon etwas betagt sind. Jihyo hat diese, gemeinsam mit ihnen für den Auftraggeber instandgesetzt hat. „Sie lernt wirklich sehr schnell unser Handwerk und setzt es zugleich hervorragend um.“ Etwas schüchtern huscht ihr ein kleines Lächeln über die Lippen, als sie das Kompliment vernimmt. Für sie ist es eine große Anerkennung, solche Worte zu hören.
Besonders liegt ihr die Gestaltung von Büchern. Hierbei durchdenkt sie die Farben und Materialen, stimmt diese aufeinander ab. „Bücher sind etwas Besonderes. Wir müssen alte Werke erhalten. Dies funktioniert nur, wenn wir auch das dazugehörige Handwerk erlernen“, versucht Jihyo deutlich zu machen.
Unsichere Zeiten aufgrund der Pandemie
„Viele Asiaten mussten Deutschland aufgrund der Pandemie verlassen. Sie durften einfach nicht hierbleiben. Es hat auch einige von ihren Freunden betroffen“, so Gudrun Schmidt mit leicht bedrückter Stimme. „Jihyo hatte aber Glück. Sie durfte bei uns bleiben.“ Vielleicht liegt es daran, dass die Familie auf dem Land lebt. Hier ist alles noch etwas unbeschwerter. An vielen Tagen hat man von der Corona-Pandemie in dem kleinen, gerade mal 40-köpfigen Dorf, gar nichts mitbekommen.
Jihyo Lee wünscht sich, noch etwas länger bleiben zu dürfen, um noch mehr vom Handwerk des Buchbinders erlernen zu dürfen. Die Schmidts drücken die Daumen, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht.