Inflation
MichaelJay

Wirtschaftskrise 2022: Die größte Herausforderung für das Handwerk

(01.11.2022) Die deutsche Wirtschaft und damit auch das Ostthüringer Handwerk erlebt die größte Wirtschaftskrise seit der Wiedervereinigung. Durch die gestiegenen Energie-, Rohstoff- und Verbraucherpreise wurde die Inflation deutlich angefacht und liegt mittlerweile bei über zehn Prozent.

Waren es in den vergangenen Wochen vor allem die energieintensiven Nahrungsmittelhandwerke, die auf ihre prekäre Situation aufmerksam machten, stehen aber auch viele andere Branchen vor enormen Herausforderungen, teilweise sogar vor existenziellen Ängsten.

Deshalb erhalten an dieser Stelle sechs andere Gewerke eine Plattform, wie sich die Wirtschaftskrise in ihren Betrieben auswirkt. Gleichzeitig berichten einzelne Unternehmen darüber, wie sie frühzeitig unternehmerische Weitsicht bewiesen haben und unterbreiten Lösungsideen, die vielen ihrer Handwerkskollegen helfen könnten.

Friseurhandwerk

Friseurmeisterin Nicole Brückner-Kieselbach aus Gera hat Angst. „Unseren Salon gibt es seit mehr als 115 Jahren. Doch solche Sorgen und Existenzängste hatten wir noch nie“, erzählt sie. Im Gegensatz zu vielen anderen Gewerken ist das Friseurhandwerk seit mehr als zweieinhalb Jahren in einer Dauerkrise. Erst die angeordneten Schließungen in der Coronazeit und jetzt die Ukrainekrise. „Die Preise steigen ins Unermessliche. Wir sind als Arbeitgeber der Geldeintreiber für den Staat, ohne dass sich an unseren Dienstleistungen etwas ändert“, ist die Friseurmeisterin verärgert. Wie lange das ihre Kunden noch mittragen, sei ungewiss. Die Unsicherheit ist groß.

Zudem wird es immer schwieriger, Mitarbeiter zu halten. Hatte ihr Salon 2019 noch sieben Beschäftigte, sind es jetzt nur noch fünf – inklusive Azubis. „Dabei zahlen wir schon deutlich über dem Mindestlohn und haben ein Bonussystem.“ Doch gerade die Coronakrise hat aus ihrer Sicht vielen angestellten Friseurinnen aufgezeigt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen. „Kaum jemand möchte noch 40 Stunden arbeiten, wenn es auch mit 30 Stunden geht“, warnt sie vor einer zunehmenden Schwarzarbeit in der Branche.

„Wenn der Staat nicht endlich aufwacht und für deutliche Entlastungen bei den klein und mittelständischen Unternehmen sorgt, wird es mehr als kritisch“, zeichnet die Friseurmeisterin eine düstere Prognose.

Tischlerhandwerk

An Tischlermeister Ullrich Buff, Inhaber der Tischlerei Buff GmbH in Crossen/Elster mit sieben Mitarbeitern, versucht er das Beste aus der Situation zu machen. „Zum Glück haben wir uns schon frühzeitig mit dem Thema Energieeffizienz beschäftigt“, so der Firmenchef. Mit dem Neubau der Tischlerei am jetzigen Standort vor 23 Jahren wurde eine Wärmerückgewinnungsanlage installiert. Vor 15 Jahren – als viele daran noch nicht so recht glauben wollten – investierte er in eine Photovoltaikanlage. Vor zwei Jahren schließlich wurde ein effektives Heizsystem eingebaut. Die 1.500 m2 große Produktionshalle ist beispielsweise mit einer Deckenstrahlheizung ausgestattet, die mit Langwellenstrahlung funktioniert und so einen deutlich geringeren Energieverbrauch als herkömmliche Heizkörper hat. Ebenso hat er in seinem Betrieb die herkömmlichen Leuchtmittel gegen LED-Lampen ausgetauscht. „Wir verbrauchen pro Jahr lediglich 50.000 kWh Strom. Das ist für einen Betrieb unserer Größe nicht so viel. Die Investitionen der vergangenen Jahre machen sich bei den jetzigen Strom- und Gaspreisen natürlich doppelt bezahlt“, so Ullrich Buff.

Aber auch die Materialengpässe und –kosten beschäftigen den Tischlermeister. Die Holzpreise haben bereits vor vielen Monaten deutlich angezogen. „Wir können das aber abfedern, da wir zu unseren Lieferanten seit vielen Jahren verlässliche Beziehungen haben und auf Augenhöhe agieren. Da macht es sich jetzt natürlich bezahlt, dass in den vergangenen Jahren nicht um jeden Euro gefeilscht wurde“, ist sich der Handwerksmeister sicher.



Friseursalon Brückner
HWK für Ostthüringen

Wäscherei Zeidler
HWK für Ostthüringen

Metallbauer Dölz
HWK für Ostthüringen

Mühle Garbschütz
HWK für Ostthüringen

Diese Handwerkerinnen und Handwerker bilden einen Querschnitt, wie es um das Handwerk aufgrund der andauernden Energie- und Materialkrise in Ostthüringen steht: Friseurmeisterin Nicole Brückner-Kieselbach aus Gera mit ihrem Team, Textilreiniger Christian Zeidler aus Altenburg, Metallbauermeister Karsten Dölz aus Pörsdorf  sowie Matthias Kertscher und Uwe Himmel von der Gardschützer Mühle im Altenburger Land (von links).



Müllerhandwerk

Matthias Kertscher, Inhaber der Mühlenwerke Gardschütz, sieht seinen Betrieb insbesondere als Zulieferer für das Bäckerhandwerk in Gefahr. „Machten früher die Bäcker 80 Prozent unserer Kundschaft aus, sind es heute nur noch 30 Prozent. Es ist zu befürchten, dass noch mehr Bäckereien schließen müssen und wir damit weiter Kunden verlieren“, so Matthias Kertscher. Mittlerweile sei es so, dass die Fladenbrotbäcker – also Dönerläden und ähnliches – den Hauptumsatz der Gardschützer Mühle ausmachen. „Die Fladenrotbäcker sind derzeit unser Überleben“, macht er ganz deutlich.

In punkto Energiekosten können sich die Mühlenwerke – im Gegensatz zu vielen anderen - glücklich schätzen. Sie haben einen bis zum Jahr 2025 laufenden Vertrag für den Strombezug. Das sorgt zumindest in dieser Frage für Planungssicherheit.

Die Sorgen vor einem Getreideengpass kann der Firmenchef momentan auch nicht teilen. Die notwendige Menge und Qualität sei vorhanden, da man stets auf regionalen Bezug des Getreides setzt. Zwar seien die Preise auch hier gestiegen, aber das ließe sich noch auffangen.

Dennoch machen sich bei ihm und seinem späteren Nachfolger Uwe Himmel Sorgenfalten auf der Stirn breit. „Wenn uns die handwerklichen Bäckereien fehlen, dann wird irgendwann auch unsere Mühle stillstehen. Was wird dann aus dem Brot als Weltkulturerbe. Es verkommt zur industriellen Massenware“, warnt Matthias Kertscher.  

Metallhandwerk

Metallbauermeister Karsten Dölz aus Pörsdorf hat erst im Jahr 2019 eine neue Produktionshalle an einem neuen Standort für zwei Millionen Euro gebaut. „Doch dann kamen mit Corona sowie mit den jetzigen Preissteigerungen und der damit verbundenen Inflation gleich drei schlechte Jahre“, so der Handwerksmeister. Die Auftragsbücher seien zwar richtig gut gefüllt. Dennoch müsse der entsprechende Umsatz in dem 12-Mann-Betrieb auch erst einmal erwirtschaftet werden. „Ich habe meine ganzen Reserven in den Neubau gesteckt.“ Die Kosten für den Bau seien zwar recht hoch gewesen. Dafür habe man auf energetische Maßnahmen viel Wert gelegt. Dreifachverglasung der Fenster, entsprechende Wärmedämmung und die Ausrichtung des Gebäudes mit drei Sonnenseiten sorgen dafür, dass jede Menge Heizenergie eingespart werden kann. „Das kommt uns jetzt zugute“, so Karsten Dölz.

Sorgen bereiten ihm jedoch die Strompreise. Die Verträge mit dem Versorger laufen Ende des Jahres aus. Dann wird es sicherlich eine deutliche Preiserhöhung geben. Deshalb sind die Planungen für den Einbau von Solarpanelen aufs Dach schon weit fortgeschritten, um eine Eigenversorgung mit Strom zu ermöglichen.

Gleichzeitig sind jedoch die Fahrtkosten aufgrund der Spritpreise deutlich gestiegen, die nicht so einfach abgefedert werden können. Nicht zuletzt seien die Materialbeschaffung und die langen Lieferzeiten ein Problem. Für ein aktuelles Projekt fehlen beispielsweise Eichenholz aus der Ukraine und Birke aus Russland. Auf Aluminiumprofile habe man 22 Wochen gewartet.

Den Kopf in den Sand stecken gilt Karste Dölz aber nicht. Mut macht ihm, dass die Auftragslage extrem gut ist. Aber man benötige auch die entsprechenden Arbeits- und vor allem Fachkräfte dafür. Das ist für ihn das größte Sorgenkind. „Ich brauche eigentlich sechs bis zehn neue Mitarbeiter – sowohl in der Produktion als auch in der Projektplanung und der Kalkulation“, wirbt der Handwerksunternehmer für seinen Betrieb.

Textilreinigerhandwerk

Textilreiniger Christian Zeidler ist Inhaber der Wäscherei Sander in Altenburg. Fast seinen gesamten Anlagen laufen mit Erdgas – Waschmaschinen Trockner und auch die Mangeln. Ein Faktor, der bei den jetzigen Preisen kaum zu stemmen ist. Der Verbrauch an Erdgas lag im letzten Jahr bei sage und schreibe mehr als 300.000 kWh. Da ist er froh, dass er vor fünf Jahren in einen neuen Dampfkessel investiert hat. Mit dem alten Kessel wäre der Verbrauch noch viel höher. Auch ein Strombetrieb ist in einer Wäscherei nicht möglich, denn auch das würde deutlich teurer kommen.

Ebenso wurde der Maschinenpark sukzessive in den vergangenen Jahren erneuert, die Räume mit LED-Beleuchtung ausgestattet. „Mehr ist für uns in Sachsen Energieeinsparung nicht möglich“, so Christian Zeidler. Er ist sich sicher, dass die Gas- und Strompreise im kommenden Jahr noch einmal deutlich angehoben werden. Wie es dann weitergeht, bleibt abzuwarten.

Auch Waschmittel haben preislich deutlich angezogen. Allein in diesem Jahr wurden die Preise für Desinfektionswaschmittel zweimal um je 45 Prozent erhöht. So kostet eine Palette Waschmittel statt 1.000 Euro jetzt 1.600 Euro. Weitere Kostensteigerungen gab es durch den Mindestlohn.

Sein Handwerksbetrieb ist bereits während der Coronakrise betroffen gewesen. Fast alle Aufträge aus Gaststätten und Hotellerie waren aufgrund der angeordneten Schließungen weggebrochen. Aber auch in der jetzigen Zeit müssen die Einrichtungen sparen. Und da werden die Tischdecken einfach mal weggelassen.

Was ihm besonders schlaflose Nächte bereitet, ist die Tatsache, dass keine Besserung in Sicht ist und es keine Perspektive gibt. Dennoch: Aufgeben kommt für ihn nicht infrage. „Nein, das ist keine Option. Den Betrieb gibt es jetzt seit 92 Jahren. Da wirft man nicht einfach das Handtuch“, gibt sich Christian Zeidler trotz allem zuversichtlich.

Kfz-Handwerk

Rolf Fischer, Geschäftsführer der Autohaus Fischer GmbH mit insgesamt sieben Standorten und Hauptsitz in Jena, sieht ebenso die Kfz-Branche massiv betroffen. Auch wenn sein Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitern nicht der Branchendurchschnitt ist, so sind die Auswirkungen ähnlich. „Uns wurden zum Jahresende fast alle Energielieferverträge gekündigt. Momentan sind wir in Verhandlungen, um zu halbwegs akzeptablen Konditionen Gas und Strom beziehen zu können“, so Rolf Fischer.

Einige Investitionen zur Energieeinsparung wurden im Laufe der Jahre getätigt. Umstellung auf LED-Beleuchtung oder Wärmedämmung sind nur einige Beispiele.  Auch an Photovoltaikanlagen habe man schon gedacht. In Jena beispielsweise sei dies aber am Hauptsitz auf den Dächern leider aufgrund der Traglast nicht möglich. An anderen Standorten gibt es Photovoltaik. „So können wir zumindest Verbrauchsspitzen abfedern.“

Auswirkungen spüre man aber auch bei Ersatzteilen und Produkten, die für die Fahrzeuge unabdingbar sind. Ein Beispiel ist AdBlue, das für viele Dieselfahrzeuge nötig ist. Die entsprechenden Hersteller des Harnstoffes AdBlue arbeiten mit Gas, haben aber ihre Produktion aufgrund der massiv gestiegenen Gaskosten zurückgefahren. Ersatzteile sind in vielen Fällen aufgrund der Globalisierung ebenfalls Mangelware.

„Wir haben mit unseren zahlreichen Standorten aber auch den Vorteil, beispielsweise bestimmte spezielle und hochpreisige Maschinen und Werkzeuge flexibel einsetzen zu können“, so Rolf Fischer. Das kann durchaus auch für kleinere Handwerksbetriebe in vielen Branchen eine Möglichkeit sein, indem sie mit Berufskollegen enger zusammenarbeiten, um hohe Anschaffungskosten von Spezialmaschinen und –werkzeugen zu vermeiden. Hilfst du mir, helfe ich dir – das könnte der Slogan sein.

„Wir haben schon viel gemacht, aber es gibt auch noch viel zu tun. Das Wichtigste sind und bleiben für uns jedoch die Mitarbeiter, die wir bei allen Entscheidungen und Neuerungen immer wieder aufs Neue mitnehmen wollen“, so der Unternehmer.