Vollversammlung der Handwerkskammer tagte in Gera Effektivere Unterstützung vom Land dringend nötig
Auf ihrer Frühjahrstagung richteten die Mitglieder der Vollversammlung der Handwerkskammer für Ostthüringen den Fokus auf die weitere Bewältigung der derzeitigen Herausforderungen, wie beispielsweise Energiewende, Inflation und Fachkräftemangel.
Kammerpräsident Wolfgang Jacob zeigte in seinem Bericht noch einmal die Ergebnisse der jüngsten Umfrage unter den Mitgliedsbetrieben auf. Darin wird deutlich, dass sich die wirtschaftliche Situation im Ostthüringer Handwerk gegenüber der dramatischen Situation im Herbst 2022 jetzt wieder leicht entspannt hat. Gestiegene Finanzierungskosten und hohe Materialpreise, die anhaltend hohen Öl- und Gaspreise, die Preisinflation sowie die Kaufkraftverluste der Kunden zwingt jedoch viele Unternehmen zur Liquiditätssicherung und begründen damit auch einen eher pessimistischen Ausblick in den Sommer des Jahres 2023. „Von einer deutlichen Erholung ist also in den kommenden Monaten nicht auszugehen“, so der Kammerpräsident.
Dialog mit Landespolitik wird fortgesetzt
Trotzdem gebe es aber auch etwas Licht am Ende des Horizonts, wenn der der Vergleich zum Vorjahr herangezogen wird. Neben dem unternehmerischen Geschick der Handwerksunternehmen haben dazu sicher auch einige Maßnahmen der Handwerkskammer beigetragen. Als Beispiel nannte Wolfgang Jacob unter anderem das Regionalforum zur Energiekrise mit Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee im November vergangenen Jahres. Als Erfolg konnten verbucht werden, dass bereits eine Woche später das Land Thüringen als erstes Bundesland einen eigenen Existenzsicherungsfonds aufgelegt hat, um insbesondere auch stark von den Kostenexplosionen bei Strom und Gas betroffenen Handwerksunternehmen zu entlasten. Dies geschah damit weit vor dem vom Bund angekündigten Strom- und Gaspreisbremsen, die erst Wochen später an den Start gingen. Deshalb wird dieses Format mit einem weiteren Regionalforum am 20. Juni in Bad Blankenburg fortgesetzt.
„Gleichzeitig hat die Handwerkskammer immer wieder auch drängendsten Probleme der Handwerkerinnen und Handwerker formuliert und entsprechende Forderungen gegenüber der Politik aufgemacht“, so Wolfgang Jacob weiter.
Energiewende funktioniert nur mit dem Handwerk
Hierzu nannte der Kammerpräsident einige Beispiele: Beim Thema Energiewende müssen Handwerksunternehmen, die den Einbau und die Wartung von Anlagen für alternative Energieformen, wie Photovoltaik, Wärmepumpen und vieles mehr auch umsetzen sollen, entsprechend unterstützt werden. Als einen Weg schlägt er deshalb eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes oder gar eine Aussetzung der Mehrwertsteuer sowohl für die Anlagen selbst als auch die Bauleistungen der entsprechenden Gewerke. Gleiches gelte es für alle anderen arbeitsintensiven Gewerke in Angriff zu nehmen.
Staat ist Hauptprofiteur von Inflation und Lohnerhöhungen
„Auch beim Thema Lohnerhöhungen macht es sich der Staat zu einfach“, kritisiert Wolfgang Jacob. Man verstehe jeden Arbeitnehmer, der aufgrund der enormen Inflation wieder mehr Geld in der Tasche haben möchte. Doch dies könne nicht nur auf die Schultern der Unternehmen abgewälzt werden. „Wer ist denn derzeit der Hauptprofiteur von Lohnerhöhungen? Der Staat durch höhere Steuereinnahmen sowie die Sozialkassen“, zeigt er auf. So sind mittlerweile ca. 40 Prozent vom Bruttolohn Sozialabgaben. Es könne nicht sein, dass nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber für das Auffüllen der Sozialkassen herhalten müssen. „Wir brauchen endlich eine deutliche Entlastung.“
Gleiches gelte für die Steuereinnahmen des Staates. Er hat schon durch die Inflation Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe. Jetzt kommen noch einmal deutliche Mehreinnahmen bei der Lohnsteuer hinzu. „Das Geld ist also da – der Staat muss es nur endlich dort einsetzen, wo es dringend gebraucht wird: bei Investitionen und Entlastungen in unseren Unternehmen“, mahnt Kammerpräsident Jacob an.
Fachkräfteproblem braucht absolute Priorität
Neben der wirtschaftlichen Situation ist es aber vor allem der Fachkräftemangel, der eines der drängendsten Probleme im Ostthüringer Handwerk darstellt. „Unsere Handwerksunternehmen gehen die Fachkräfte aus“, warnt er. Eines sei aber auch sicher: Der künftige Fachkräftebedarf wird nicht nur mit einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu decken sein. Ein Zuzug von wirklichen Fachkräften aus dem Ausland sei daher dringend geboten. Auch hier muss vor allem die Landesregierung noch aktiver werden. Gerade kleine und mittelständische Handwerksbetriebe sind auf eine stärkere Unterstützung und Begleitung bei diesem Prozess angewiesen. Großunternehmen, die auch noch global agieren, können das mit ihrem Know how oftmals selbst stemmen. „Das ist im Handwerk einfach nicht möglich. Ein funktionierendes Fachkräfteprogramm für interessierte Handwerksunternehmen ist daher unabdingbar“, erklärt Wolfgang Jacob an die Landespolitik gerichtet.
Natürlich leistet hier auch die Handwerkskammer für ihre Mitgliedsunternehmen einen umfassenden Beitrag. Neben den bewährten Aktivitäten wie Lehrstellenbörse, Ausbildungshotline, einer Vielzahl an Ausbildungsmessen, der Zusammenarbeit mit Sportvereinen und alljährlichen Ausbildungsevent in der Bildungsstätte Gera, gibt es auch eine ganze Reihe von neuen Formaten und Ideen, um Jugendliche zu erreichen und für eine Ausbildung im Handwerk zu begeistern. So ist beispielsweise mit Förderung durch das Land Thüringen in den kommenden Monaten eine Schulhoftour geplant, um gezielt die Schülerinnen und Schüler mit spannenden Aktionen von der Vielfalt und den Karrieremöglichkeiten im Handwerk zu begeistern.
Förderung von Ferienpraktika statt Schulausfall durch TIP
Natürlich werden auch die Berufsorientierungsmaßnahmen in den drei Bildungsstätten der Handwerkskammer fortgeführt. Diese sind ein unabdingbarer Bestandteil sind, um Jugendliche an das Thema Handwerk und seine Ausbildungsberufe heranzuführen.
In diesem Zusammenhang übte Kammerpräsident Wolfgang Jacob deutliche Kritik an einem Thema, das derzeit in Thüringen versucht wird, zu etablieren: TIP – Tag in der Praxis. Dabei sollen Schülerinnen und Schüler wöchentlich einen Tag Praxis in Betrieben erleben. „Ich sage es ganz ehrlich – für mich ist dieses Projekt nicht zielführend“, so Jacob.
Schon jetzt fallen in den Schulen unzählige Unterrichtsstunden aufgrund von Lehrermangel aus. Man könne meinen, dass mit diesem Tag, an dem die Schüler nicht an der Schule sind, der Lehrermangel kaschiert werden soll. Doch was bleibt, ist die Tatsache, dass noch weniger Unterrichtstoff vermittelt werden kann.
Nicht zu vergessen ist dabei, dass gerade kleinen und mittelständischen Handwerksbetriebe diesen Tag oftmals nicht stemmen können. „Wer von ihnen hat denn das Personal und Zeit, immer einen Tag in der Woche Schülerinnen und Schüler so in die betrieblichen Abläufe einzubinden? Das werden nur sehr wenige sein“, weist der Kammerpräsident auf die Probleme hin. Zudem bestehe am Ende die Gefahr, dass seitens des Landes die über viele Jahre bewährte Berufsorientierung, wie man sie bisher in Thüringen kennt und mit Leben erfüllt, zurückgefahren wird.
Praktika in Sachsen-Anhalt als Erfolgsmodell nehmen
Hier unterbreitet er der Landespolitik einen ganz anderen Vorschlag, der in einem Nachbarbundesland schon erfolgreich praktiziert wird. Wer in Sachsen-Anhalt ein Schülerferienpraktikum im Handwerk macht, kann pro Woche eine Prämie von 120 Euro erhalten. Die Prämie erhalten dort Schüler ab 15 Jahre, die an einer Schule in Sachsen-Anhalt lernen und ihren Wohnsitz in Sachsen-Anhalt haben.
Die Praktikumszeit muss sich über mindestens eine Woche erstrecken. Jeder Schüler kann pro Jahr eine Praktikumsprämie für maximal vier Wochen erhalten – entweder für Praktika bei verschiedenen Betrieben oder bei einem Betrieb. Also insgesamt 480 Euro. Im vergangenen Jahr haben knapp 800 Schülerinnen und Schüler von der Praktikumsprämie profitiert. Etwa ein Viertel der Praktikanten hat im Anschluss an das Praktikum auch einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen.
„Das kann durchaus auch ein Erfolgsmodell in Thüringen sein, ohne dass dafür noch mehr Unterrichtszeit in den Schulen verloren geht“, fordert Kammerpräsident Jacob die Landesregierung auf, neben der bisherigen Berufsorientierung das Handwerk auch über diesen ergänzenden Weg effektiv zu unterstützen.
All die genannten Aufgaben und Herausforderungen gilt es neben vielen weiteren Themen im Interesse der Mitgliedsunternehmen zu bewältigen und umzusetzen. Dafür fassten die Vollversammlungsmitglieder schließlich eine Vielzahl von wegweisenden Beschlüssen, die nun durch das Hauptamt der Handwerkskammer umgesetzt werden.
Titelbild: Kammerpräsident Wolfgang Jacob (3.v.l.) während der Frühjahrstagung im Gespräch mit den Vollversammlungsmitgliedern Rolf Fischer aus Jena, Tim Lukas aus Weida, Petra Hartding-Grötsch aus Gera, Sven Heisig aus Greiz und Ronny Rosenau aus Saalfeld (v.l.).