Kammerpräsident Wolfgang Jacob im InterviewHandwerkliche Leistungen müssen endlich in den Fokus rücken
Das Ostthüringer Handwerk befindet sich nunmehr fast genau drei Jahre in einer prekären Situation. War es erst die Coronakrise, so kam anschließend der Ukrainekrieg mit seinen massiven Auswirkungen bei Energiepreisen, Materialmangel und Lieferengpässen hinzu. Verstärkt wird diese Situation derzeit durch die enorme Inflation, einen damit verbundenen Kaufkraftverlust und insbesondere einen sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel. Wolfgang Jacob, Präsident der Handwerkskammer für Ostthüringen, befürchtet dramatische Wochen und Monate, wenn nicht schnellstmöglich gehandelt wird. In einem Interview zeigt er die Probleme sowie Risiken auf und unterbreitet Lösungsvorschläge.
Herr Jacob, sie haben in den zurückliegenden drei Jahren immer wieder auf Probleme hingewiesen und sich gegenüber der Politik für Verbesserungen stark gemacht. Sehen Sie hier Erfolge?
Ja, wir haben einiges für unsere Mitgliedsbetriebe erreicht – sei es während der Coronakrise als auch im zurückliegenden Jahr während der wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch den Ukrainekrieg. Dies aufzuzählen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Jüngstes Beispiel war die Tatsache, dass Thüringen noch vor dem Bund als erstes Bundesland ein Existenzsicherungsprogramm aufgelegt hat, um Unternehmen bei den enormen Energiepreisen zu entlasten. Das wäre ohne den ständigen Druck aus dem Handwerk nicht möglich gewesen. Das reicht aber in der derzeitigen Situation bei weitem nicht aus. Hier müssen wir am Ball bleiben.
Bisher ist die Nachfrage seitens der Unternehmen zum Existenzsicherungsprogramm gering. Es gibt Überlegungen, Teile des Fonds jetzt für Investitionen zu nutzen. Der richtige Weg?
Auf keinen Fall. Der Fonds muss erhalten bleiben, denn die Betriebe sind noch lange nicht über den Berg. Strom- und Gaspreisbremse sind ein erster guter Ansatz. Doch dies reicht nicht, um unsere Betriebe aus der schwierigen Lage zu führen. Für mich ist es ein Unding, jetzt schon über Kürzungen des Existenzsicherungsfonds zu reden. Vielmehr muss geklärt werden, warum so wenig Anträge gestellt werden. Sollte dies an einem zu komplizierten Antragsverfahren liegen, so muss dort nachjustiert werden, statt über Kürzungen nachzudenken.
Zumal die hohe Inflation sowie steigende Kreditzinsen auch noch hinzukommen. Sehen Sie hier eine Gefahr für weitere Handwerksbranchen?
Ja, diese Gefahr ist mehr als deutlich. Gerade das Baugewerbe, das bisher noch recht gut durch die Krisen gekommen ist, droht einzubrechen. Gestiegene Baukosten und höhere Zinsen bei Baukrediten schrecken viele Bauherren ab. Entweder werden bestehende Baugenehmigungen nicht in die Tat umgesetzt oder private Bauprojekte werden auf Eis gelegt. Ich erwarte schon im Frühjahr einen deutlichen Einbruch der bisher noch guten Lage im Bau- und Ausbauhandwerk. Hier muss der Staat, der durch die Inflation Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe hat, dringend etwas zur Entlastung beitragen. Das Geld ist da – ja es muss da sein, wenn die Bauwirtschaft nicht auch noch in eine deutliche Rezession abgleiten soll.
Wolfgang Jacob, Präsident der Handwerkskammer für Ostthüringen.
Strom und Gas sind weiter teuer. Die Energiewende soll Abhilfe schaffen, insbesondere um von fossilen Energieträgern wegzukommen. Für die Energiewende ist das Handwerk jedoch unverzichtbar. Wird hier seitens der Politik genug getan?
Nur von blumigen Worten und Aktionismus wird keine Wohnung warm. Ja, wir brauchen die Energiewende. Das ist unstrittig. Doch ohne das Handwerk wird es diese nicht geben. Deshalb müssen Handwerksunternehmen, die den Einbau und die Wartung von Anlagen für alternative Energieformen, wie Photovoltaik, Wärmepumpen und vieles mehr auch umsetzen sollen, entsprechend unterstützt werden. Als einen Weg sehe ich eine Absenkung des Mehrwertsteuersatzes oder gar eine Aussetzung der Mehrwertsteuer sowohl für die Anlagen selbst als auch die Bauleistungen der entsprechenden Gewerke. Das kann aus meiner Sicht dazu führen, dass sich noch mehr Verbraucher für den Einbau neuer energiesparender Systeme entscheiden. Gleiches gilt es für alle anderen Gewerke in Angriff zu nehmen.
Sie kritisieren aber auch die Entwicklung der Lohnnebenkosten.
Mit einer Steigerung der Löhne, die oftmals aufgrund der Inflation unabdingbar sind, gehen natürlich auch die Sozialversicherungsabgaben nach oben. Mittlerweile sind ca. 40 Prozent vom Bruttolohn Sozialabgaben. Es kann nicht sein, dass nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber für das Auffüllen der Sozialkassen herhalten müssen. Wir brauchen endlich eine deutliche Entlastung.
Die Kostenreduzierung ist die eine Seite. Auf der anderen Seite fehlen überall Fachkräfte, um diese ganzen Herausforderungen zu meistern. Gehen dem Handwerk die Fachkräfte aus?
Das ist mit Sicherheit eine der größten Herausforderungen in den kommenden Monaten und Jahren. Eines ist sicher: Wir werden den Fachkräftebedarf nicht nur mit einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern decken können. Ein Zuzug von wirklichen Fachkräften aus dem Ausland ist daher dringend geboten. Auch hier muss vor allem die Landesregierung noch aktiv werden. Erste Ansätze mit jungen Menschen aus Vietnam sind gemacht. Unsere Handwerksbetriebe, die vietnamesische Azubis ausbilden, sind begeistert. Dies gilt es auf andere Länder auszuweiten – und das schnell. Wenn im Ostthüringer Handwerk in den kommenden fünf bis zehn Jahren jährlich nicht mindestens 900 bis 1.000 Azubis ausgebildet werden, sieht es für viele Betriebe ganz dunkel aus. Derzeit haben wir jährlich lediglich ca. 780 neue Azubis.
Allein mit ausländischen Azubis ist das Ziel nicht zu schaffen. Wo sehen Sie noch Handlungsspielraum?
Ganz wichtig ist, die handwerkliche Ausbildung zu stärken. Wir müssen endlich weg von dem Slogan, dass Gymnasiasten zwangsläufig studieren müssen. Im Handwerk gibt es so viele Aufstiegsmöglichkeiten für Abiturienten in einer Vielzahl von Handwerksberufen, die nicht mehr mit dem Bild des Handwerks von vor 40 oder 50 Jahren vergleichbar sind. Es muss an den Gymnasien ein neuer Geist einkehren, der den Schülerinnen und Schülern nicht nur akademische Wege, sondern auch berufliche Karrierechancen aufzeigt. Ganz nach dem Motto: Mit einem soliden Berufsabschluss in der Tasche studiert es sich leichter. Gleiches gilt für Studienabbrecher, die zielgerichteter auf eine duale Ausbildung hingesteuert werden müssen.
Oftmals werden die mangelnde Attraktivität und die ungenügende Bezahlung von Azubis als Ausschlusskriterium ins Feld geführt. Stimmen Sie dem zu?
Auf keinen Fall. Schaut man sich viele Ausbildungsberufe außerhalb des Handwerks, so können Azubis im Handwerk mit deutlich mehr Lehrlingsentgelt rechnen. Doch Geld ist nicht alles. Es muss auch das Betriebsklima stimmen. Und das ist im Gros unserer Betriebe gegeben. Attraktiv sind unsere Handwerksbetriebe sowieso – und das nicht nur bei den Elektronikern, den Kfz-Mechatronikern, den Dachdeckern oder Anlagenmechanikern. Augmented Reality (AR), Virtuell Reality (VR) und Smart-Home-Systeme sind hier nur einige Beispiele. Es lohnt sich also mehr denn je, auf eine Ausbildung im Handwerk zu setzen.
Auszubildende können bisher vom Azubi-Ticket in Thüringen profitieren. Ist dies mit dem 49 Euro-Ticket hinfällig?
Hier muss der Freistaat ganz schnell nachbessern. Bisher zahlen unsere Azubis 60 Euro für das Ticket. Regulär würde ein normales Ticket mit diesen Leistungen knapp 200 Euro kosten. Wenn das bundesweite 49 Euro-Ticket kommt, so brauchen wir hier ein entsprechendes neues Angebot für unsere Azubis. Mein Vorschlag: Ein Azubis-Ticket für 9 Euro! Es darf nicht sein, dass der Freistaat ab 1. Mai mit Einführung des 49 Euro-Tickets das bisherige Azubi-Ticket gänzlich streicht. Alternativ wäre auch eine Bezuschussung der Azubis beim Erwerb des Führerscheins. Darüber sollten wir dringend reden.
Ein weiteres Sorgenkind ist die Unternehmensnachfolge. Viele Handwerker finden einfach keinen geeigneten Nachfolger für ihren Betrieb?
Das ist wirklich sehr prekär. Allein in Ostthüringen suchen in den kommenden 10 Jahren ca. 3000 Betriebsinhaber einen Nachfolger. Das entspricht fast einem Drittel aller Handwerksbetriebe in Ostthüringen. Schon jetzt haben wir viele Betriebe, insbesondere Meisterbetriebe, die aufgrund einer fehlenden Nachfolge für immer schließen müssen. Was das für die handwerklichen Strukturen und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung bedeutet, kann sich jeder ausmalen. Deshalb brauchen wir zusätzlich zu den bisherigen Maßnahmen wie der Meistergründungsprämie oder dem Thüringer Zentrum für Existenzgründungen und Unternehmertum seitens des Landes noch weitere Angebote. Wie wäre es beispielsweise mit massiven Steuererleichterungen für all jene, die einen bestehenden Betrieb übernehmen.
Sie haben soeben die Meisterbetriebe angesprochen. Fehlt es an ausreichend Jungmeisterinnen und Jungmeistern? Und wenn ja, wie können hier Anreize gesetzt werden?
Wir wissen alle, dass die Meisterfortbildung jedoch eine Menge Geld kostet. Zwar gibt es Unterstützung mit dem Aufstiegs-BAföG auf Bundesebene oder auch mit der Meisterprämie und dem Meisterbonus von jeweils 1.000 Euro in Thüringen. Was wir aber brauchen, um wirklich nachhaltig zu agieren, ist eine kostenfreie Meisterfortbildung, Diese sollte jedoch nicht bundesweit im Gießkannenprinzip, sondern angepasst an die jeweiligen regionalen Bedingungen und Unterschiede verwirklicht werden. Was bei Studenten Normalität ist, muss auch für angehende Jungmeisterinnen und Jungmeister gelten. Schließlich ist der Meisterabschluss dem Bachelorabschluss gleichgestellt. Wir müssen endlich davon weg, akademische Karrieremöglichkeiten besser zu stellen als berufliche.
Viele Forderungen Ihrerseits. Glauben Sie, dass diese alle umsetzbar sind?
Ich bin Realist und weiß, dass nicht alles sofort in die Tat umgesetzt werden kann. Wir müssen die genannten Punkte jetzt aber endlich angehen – und das gemeinsam. Deshalb sind alle Handwerkerinnen und Handwerker aufgerufen, sich gern mit entsprechenden Vorschlägen an die Handwerkskammer zu wenden, denn nur wenn das Handwerk als eine Stimme auftritt, finden wir Gehör. Das muss das Credo in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren sein.