
Hans Ulrich Köhler führte Deutschland mit in die Einigkeit Zwischen Werkbank und Staatsgeschäften
Auf ein bewegtes Leben kann der 81-jährige Handwerksmeister Hans Ulrich Köhler zurückblicken. „Was mich da erwartete, damit hätte ich nicht gerechnet“, urteilt er heute über sein Leben in der Wendezeit und ergänzt: „Ich würde es genau so wieder tun, wir haben damals ein Stück deutsche Geschichte geschrieben.“
Vom Lehrling zum Meister
Im Alter von 16 Jahren begann Köhler seine Ausbildung zum Maschinenbauer in der Firma Rudolf Baum in Hainspitz. Diese kümmerte sich um spezielle Verpackungsmaschinen für Camembert Käse und Butter in Molkereibetrieben. Er legte als einer der Ersten seine Gesellenprüfung nach zwei Jahren Lehrzeit 1963 ab.
Der nächste Schritt sollte der Handwerksmeister sein. Zwei Jahre drückte Hans Ulrich Köhler nochmal die Meisterschulbank. Dabei sollten ihn auch so manche Hürden begleiten. „Wir gingen damals von Montag bis Sonntag in die Schule. Dazu kam, dass ich meine Meisterausbildung vollkommen eigenständig bezahlen und die Zeit als Urlaub nehmen und raus arbeiten musste. Betriebe der Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) wurden damals privilegiert behandelt. Da mussten die angehenden Meister sich um nichts einen Kopf machen. Bei uns privaten Betrieben sah das dagegen ganz anders aus. Wir waren unerwünscht.“
Dass Handwerker seiner Zeit nicht den besten Stand in der DDR hatten, ließ ihn auch sein Lehrer im Fach Politökonomie spüren. Dieser tönte bereits zu Beginn der Meisterausbildung, dass Meister nicht gebraucht und dass das Handwerk nicht überleben würde. „Da haben wir ihm natürlich deutlich die Meinung gesagt“, so Köhler. Der Lehrer sollte Unrecht behalten. Ende der 70er-Jahre wuchsen die wirtschaftlichen Probleme. Die Staatsschulden wurden größer und man musste verstärkt auf die Arbeitsleistung der inländischen Fachkräfte setzen. Das Handwerk wurde wieder gebraucht.
Hürden mit Erfolg gemeistert
„Ich habe mich wie Bolle gefreut“, betrachtet Hans Ulrich Köhler rückblickend den Moment, in dem er sich Maschinenbaumeister nennen durfte. Mit Motivation und Tatendrang geladen, übernahm er schließlich seinen Lehrbetrieb von Rudolf Baum, welcher auch sein Schwiegervater geworden ist.
Doch der Staat meinte es nicht gut mit dem jungen Meister. „Der Sozialismus hat uns gezeigt, wo es lang ging“, kommentiert Köhler den Fakt, dass er am 3. Mai 1978 nur vier Monate nach dem Beginn seiner Selbstständigkeit seinen Betrieb bereits wieder ruhend melden musste, da er zur Armee eingezogen wurde. „Unsere Arbeit zählte damals zu der Versorgung der Bevölkerung. Diese hatte im Sozialismus oberste Priorität. Den Rat des Kreises hat das damals aber alles nicht interessiert und ich musste mich fügen, die Wehrpflicht wurde nicht ausgesetzt.“
Ein halbes Jahr verbrachte der Handwerksmeister schließlich bei der Armee, ehe er wieder seiner Arbeit und der damit verbundenen Selbstständigkeit nachgehen durfte. Bis 1989 betreute Köhler mit seinem Betrieb 260 Molkereien als Kunden. „Ich hatte damals jeden Tag die Chance, mir selbst ein Erfolgserlebnis zu verschaffen. Die Kunden waren am Ende der Arbeit glücklich und das hat mich erfüllt.“ Doch das Glück sollte nicht von langer Dauer sein. In der DDR herrschte Umbruchsstimmung.
Neue Perspektiven tun sich auf
Seit 1972 ist Hans Ulrich Köhler Mitglied der CDU. „Eines Tages habe ich die Zeitung aufgeschlagen und gelesen, dass sich ein Lehrer und zwei Lehrstudenten zur Wahl für die erste frei gewählte Volkskammer als Kandidaten aufstellen wollen. Da rief ich bei der Partei an und fragte, was das soll und dass diese Leute doch nichts für unser Land bewegen können. Als Antwort erhielt ich nur: Wenn du etwas bewegen willst, dann kandidiere doch selbst.“
Und es kam, wie es kommen musste und Köhler setzte sich gegen die anderen Kandidaten durch. Der Handwerksmeister wurde am 18. März 1990 Mitglied der ersten und einzig frei gewählten Volkskammer der DDR. „Ich musste zu dieser Zeit meinen Betrieb abmelden. Alle meine Kunden waren von heute auf morgen weg. Der Raiffeisen Bundesverband, welcher als Dachverband aller Molkereien agierte, sprang ab. Die Molkereien waren damals Genossenschaften. Volkseigene Betriebe, welche schließlich von der Treuhand finanziert wurden, blieben bestehen. Es war einfach kein Geld mehr da.“
Der Wilde Westen der DDR
Handwerksmeister Köhler widmete sich seinen neuen Aufgaben als Abgeordneter. Dachte er noch zunächst, dass sich sein Engagement in der Volkskammer auf einige wenige Treffen im Jahr beschränken sollte, wurde er schnell eines Besseren belehrt. „Wir waren vollbeschäftigt von Montag bis Sonntag. Urlaub gab es so gut wie nie und wenn, dann nur mit Unterbrechungen. Wir hatten eine Aufgabe und das war die Wiedervereinigung Deutschlands.“ In der Volkskammer saß Köhler im Wirtschaftsausschuss. Die Arbeit wurde ohne Büros und Mitarbeiter erledigt. Da die Ereignisse sich zu dieser Zeit überschlugen, musste man schnell handeln, um voranzukommen.
Der Handwerksmeister beschloss schließlich auch das Ländereinführungsgesetz mit. So entstanden aus den ehemaligen 14 DDR-Bezirken die neuen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Köhler urteilt rückblickend über diesen Moment: „Endlich war der Weg frei für Landtagswahlen, der Dezentralisierung der Polizei und der Privatisierung der zentral geführten Volkswirtschaft. Die damalige Zeit war wie im Wilden Westen, in dem man niemandem trauen konnte. Wurden wir doch von einem Apparat beschützt, welchen wir auflösen sollten.“
Die Wende bringt den Neuanfang
Am 2. Oktober 1990 fand die letzte Sitzung der Volkskammer statt, welche Gregor Gysi damals mit den Worten „Wir haben die DDR beerdigt“ abschloss. Einen Tag später fand die erste konstituierende Sitzung des neuen Bundestags statt. 14-Tage vorher wurde Köhler bereits mit 143 weiteren Abgeordneten der Volkskammer in den ersten gesamtdeutschen Bundestag kooptiert.
„Am 3. Oktober flogen die Abgeordneten nach Köln/Bonn. Da erwartete mich bereits ein eingerichtetes Büro und eine Mitarbeiterin. Das war völliges Neuland für mich. Hatten wir doch vorher zwischen Tür und Angel gearbeitet.“ Eine neue politische Zeit brach für den damals 47-Jährigen an. „Ich musste mich um Landkreise kümmern. Dazu versendete ich 1.000 Briefe, damit die Leute erst mal mein Gesicht kannten und wussten, wer ich bin.“ Sein Einsatz, vor allem für die Wismut, die Landwirtschaft und der regionalen Wirtschaft sollte sich auszahlen. Hans Ulrich Köhler ging als Wahlkreissieger hervor und hatte die Wahlkreise Gera Stadt, Kreis Gera Land I und Kreis Eisenberg unter sich.
Dem Handwerk die Treue gehalten
In der Nachwendezeit wurde der Handwerksmeister und Abgeordnete oft gefragt, wo er denn studiert hätte. Dieser Frage entgegnete er dann immer ganz locker: „Ich habe durch meine 30-jährige berufliche Tätigkeit als Handwerker auf Außenmontage das Leben studiert.“ Und damit unterstreicht Hans Ulrich Köhler, dass er immer bei seinen Wurzeln im Handwerk geblieben ist.
Und auch nach seiner Zeit als Mitglied der Volkskammer engagiert er sich aktiv für die Belange des Handwerks. So setzte er unter anderem beim Zentralverband des Deutschen Handwerks die Meisterpflicht einiger Berufe mit durch, wie etwa die der Pfefferküchler in Pulsnitz. Auch Betriebsschließungen durch die Treuhand in Ostthüringen konnte Köhler durch sein Verhandlungsgeschick verhindern. „Als Handwerker habe ich gelernt, zu dem zu stehen, was ich mache.“ Diese Eigenschaft hat er sich nicht nur bis zum Ende seiner politischen Karriere im Jahre 1998 beibehalten, sondern bleibt ihr auch in seinen jetzigen Aktivitäten treu. Seit seinem Ruhestand besucht Hans Ulrich Köhler Menschen in der Kurzzeitpflege des Roten Kreuzes. „Ich tausche mich mit den Menschen aus, wir singen zusammen und diskutieren.“
Alle Ehre dem Altmeister
In diesem Jahr durfte der Handwerksmeister auf sein 50-Jähriges Meisterjubiläum zurückblicken. Geehrt wurde er gemeinsam mit weiteren beruflichen Weggefährten im Rahmen einer Festveranstaltung der Handwerkskammer.
Hans Ulrich Köhler ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Handwerker neben ihrem Beruf auch auf politischer Ebene einsetzen können und aus dem Ehrenamt nicht mehr wegzudenken sind.
Titelbild: Heute genießt er seinen Ruhestand. Privat engagiert er sich noch ehrenamtlich beim Roten Kreuz.